Dorothea Bohde

Lichtenberger Tischgespräche
Nach einer Erkundigung des Bezirks ziemlich kreuz und quer habe ich ein altes Postrad gemietet und so ausgerüstet, dass es vorne zum Tisch wurde.   Das schwere Rad und das Berliner Pflaster schränkten allerdings meinen Aktionsradius ziemlich auf Rummelsburg, den Viktoria- Kiez und den Weitling-Kiez ein. Es gab ein Thema: „Wann ist Heimat?“ Aber manche Menschen wollten lieber von sich erzählen.
Der mobileTisch
Menschen an einen Tisch zu bringen, ist zu einem Inbegriff von angestrebter Gemeinschaft und überbrückter Differenzen geworden. Es scheint paradox, dass dieser Inbegriff für Nähe zunächst eine Barriere in sich birgt. Der Tisch schafft eine vorgegebene Distanz: durch seine Beschaffenheit bestimmt er einen minimalen, durch seine Funktion einen maximalen Abstand von einem Gegenüber. Die Größe dieses Abstandes ist der Funktionalität des Tisches als Ablage zugeordnet. In Bezug auf die Distanz, die er zwischen Individuen schafft, ist diese Eigenschaft des Tisches rein zufällig. Die Frage der Nähe wird von außen beantwortet, aber gerade durch die Kontingenz dieses Maßes kann die entstehende Nähe von allen akzeptiert werden. Die Schwierigkeit im Umgang mit anderen Individuen ist zu großem Teil der Unsicherheit zuzuschreiben, die durch das Fehlen eines Maßes für körperliche und geistige Nähe zustande kommt. Die Brücke, die der Tisch schafft, ist also eigentlich die Überbrückung dieser Unsicherheit.
So wie ein räumliches Maß fehlt auch ein zeitliches Maß für die Kommunikation. So wenig man den angemessenen Raum zwischen Menschen mit Zentimetern angeben kann, so wenig kann man die angemessene Dauer eines Gesprächs mit Minuten bestimmen. Kaum einmal gelingt es, die Dauer des Gesprächs als „einem Thema adäquat” einzuschätzen. Das Richtmaß wird also wieder in etwas Äußerem gesucht –der Situation. Die Situation muss in ihrer Ganzheit abgeschätzt werden können, um eine feste Zeitlichkeit als Horizont für eine Kommunikation zu bilden. Das Essen bildet das Maß für Zeitlichkeit einer Unterhaltung nicht bloß auf der Makro-Ebene. Auch die Adäquanz von Pausen im Gespräch, der Zeit zwischen Frage und Antwort, wird nicht mehr dem Sprechenden als Sprechenden angelastet. Als Essender ist er zugleich in eine Tätigkeit involviert, die dem Gespräch von außen Pausen oktroyiert.
Diese Hilfsmaßnahmen scheinen nötig zu sein, weil uns ein eigenes Maß für Zwischenmenschlichkeit abhanden gekommen ist – falls wir je eines hatten. Alles was partizipatorische Kunst leisten kann und soll, ist die Wahrnehmung für solche sozialen Phänomene zu schärfen. Dies kann immer nur in Form von Symbolen geschehen. Um Alltägliches als Symbol wahrzunehmen, muss man es aus seiner sozialen Verankerung reißen, es in einen neuen Kontext stellen. Gut Behütetes muss offen zu Tage liegen, Anheimelndes muss seine Heimat verlieren, Ortgebundenes muss mobil werden. Das „mobile Artcafé“ in seiner Ausprägung als „Tischgespräche” tut genau dies. Es bringt Situatives für eine Zur-Schau-Stellung nicht lediglich in neue Wände – die eines Museums – sondern will diese Wände überhaupt überwinden. Dass sich Situationen und Begegnungen bilden, modellieren lassen, ist eine durchaus alltägliche Überzeugung, die zu Verkaufsstrategien aller Art perfektioniert wird. Meine Überzeugung ist es, dass sich dieses Potential künstlerisch nutzen lässt. Dabei wird die Grenze zwischen bewusster Gestaltung und unmittelbarer Partizipation, zwischen „Herr sein über” die Situation und „sich befinden in” derselben, fallengelassen. Nur dadurch lässt sich der Wunsch, die Kunst in die Gesellschaft zu tragen, mit seiner eigenen Maxime ein, auch Teil der Gesellschaft zu sein, sich auf diese einzulassen.

 

bohde1 bohde2R. Petereit   – Wissensarbeiter

D.     Wann ist Heimat für Sie?
R.     (wiederholt leise) …Wann ist für mich Heimat?
Das ist eine…. da gibt es ja die verschiedensten Antworten darauf.
Marx sagt ja, der Proletarier hat kein Heimatland…äh…
D.       ( lacht) …Kommen Sie nicht mit Marx!
R.         ….dann gibt es die religiöse Antwort darauf…dass man überhaupt kein Heimatland hat, weil man als Transätheres Wesen…..
D.         Nein, nein, ich meine Ihren Heimatbegriff.
R.         Ich muß sagen, dass ich relativ…
vor 5 oder 10 Jahren hätte ich gesagt, ich bin zu Hause, wenn ich unterwegs bin, und das hat sich relativiert.
D.         Das ist ja auch ein anderer Begriff : Zu Hause und Heimat, oder ist das für Sie das Gleiche?
R.         Zu Hause und Heimat… Ja, jetzt müsste ich überlegen, ja, ich weiß es nicht.
Der Heimatbegriff, also ich übersetze den mit: zu Hause, mit zu Hause sein und sich fühlen, der landläufige Begriff von Heimat sozusagen als Landschaft.
In der DDR gab es ein schönes Pionierlied: Die Heimat hat sich schön gemacht,
damit war dann klar referiert auf das Vaterland oder ein anderes : Unsere Heimat das sind nicht nur die Bäche und Flüsse, das sind auch die Menschen und so weiter…
D.           Sie sind von hier?
R.           Ja, ich bin aus dem Osten
In sofern weiß ich nicht….
Heimatbegriff,-   eher deutsche Krankheit, ich hätte eher gesagt, dass zu Hause sein…. fühlen…..
Und dann ist es heute so, dass ich mich mehr zu Hause fühle, wenn ich zu Hause bin, das aber nicht sein kann, ohne unterwegs zu sein. Also dass ich
eigentlich regelmäßig das Unterwegssein brauche, um mich zu Hause fühlen zu können.

Februar, 2014