Antonia Low

Lieber Christof, lieber Paul, (…)*
Gerne möchte ich Dich zu einem kollaborativen Spaziergang durch Lichtenberg einladen! Ich würde mich sehr freuen, Dich wiederzusehen, wieder mit Dir zu reden und gemeinsam die Gegend erkunden. Zusammen gehen wir durch die Straßen Lichtenbergs spazieren und lassen die letzten Monate Revue passieren. Wir tauschen uns über Kunst, Leben und die neue Nähe zwischen uns aus. Und schauen, was daraus entstehen kann –
Herzlich, Deine Antonia

Corona-Nase

Wenn man Corona hat, riecht und schmeckt man nicht mehr, erzählt Christof Zwiener. Er hatte es Anfang März 2020, noch bevor der Virus sich richtig in Europa ausgebreitet hatte. Als es ihm stückweise besser ging, kam wie ein Phantom der Geruch von Verwesung in seine Nase. Es roch wieder nach dem toten Nachbarn über ihm in der Wohnung. Jener hatte Jahre zuvor auf dem Boden dort gelegen und war verwest. Die Leiche war zu der Zeit natürlich schon beseitigt worden, die Fliegen ebenfalls weg. Aber der süßliche Geruch des Toten schwebte für Christofs Nase geisterhaft wieder im Raum.
Als Christof mir von dieser Erfahrung berichtet, denke ich an meine Zeit zu Beginn der Pandemie und des Kontaktverbots. Mein Geruchsinn war ebenfalls ausgefallen. Im Grunde hatte ich sämtliche Corona-Symptome außer Fieber. Ich war zuhause in meiner Wohnung. Das Seltsame war, dass als der Geruchsinn sich wiedereinstellte, es eigenwillig roch – wie im Innern der Nasennebenhöhlen, als seien diese nach außen verschlossen. In selbst gewählter Isolation schien das Riechorgan auf eigensinnige Weise nur mit sich selbst beschäftigt.

* Durch die Spaziergänge mit weiteren Freund*innen entstanden bislang eine Reihe künstlerischer Kollaborationen: Eine eBay-Kleinanzeige, eine Collage, ein Text, eine Ausstellungsplanung und neue Verabredungen. Fortsetzung folgt an anderer Stelle!

November, 2020