Holger Biermann

Corona-Winter. Mit einer analogen Olympus PenD aus den 60er-Jahren laufe ich durch Lichtenberg. Das Halbformat der Kamera fordert mich mitzudenken und immer wieder Bild-Paare zu finden, die nur durch einen schwarzen Balken getrennt sind. Ich spiele auf der Straße mit dem Edit. Die Tage sind kurz. Die langen Abende verbringe ich geistig mit Aufzeichnungen von Erich Fromm.

„Eine Gesellschaft kann äußerlich reich, machtvoll und dem Menschen sogar voller Vergnügen sein und das mag der Moment sein, wo diese Gesellschaft ihrer Zerstörung entgegensieht. Wenn Sie die Geschichte des Römischen Reichs zur Höhe seiner Macht sehen, dann werde ich in vielen Dingen erinnert an das, was wir heute bei uns sehen können. Und das ist nicht die Folge von irgendjemandes schlechten Willen oder bösen Absichten oder Mangel an Intelligenz. Das sind gesellschaftliche Prozesse, wo im Augenblick der Moment zur Veränderung verpaßt wird. Und der ist in der Geschichte von vielen Gesellschaften schon verpaßt worden. Heute ist nur die Situation so ungeheuer kritisch, weil wir atomische Waffen haben, die Welt einheitlich geworden ist und Katastrophen zu ungeheuren Folgen führen können.“ (Erich Fromm: Entwürfe für eine Gesellschaft von morgen, Symposium anlässlich seines 75. Geburtstag, Mai 1975, Locarno)

Januar, 2021