Lisa Großkopf

In den drei Wochen, die ich in Lichtenberg verbrachte, begab ich mich auf die Suche nach dem Paradies. In der heutigen Umgangssprache beschreibt der Begriff »Paradies« Situationen, die von Überfluss, Mühelosigkeit, dem Zauber des Unbekannten, Anrüchigen oder Sensationellen geprägt sind. Die gegenwärtige Konsumgesellschaft rückt Paradiesentwürfe, die kulturgeschichtlich an die Imagination vollkommener, doch aus strukturellen Gründen unerreichbarer Orte geknüpft waren, in vermeintlich greifbare Nähe.

Meine Erkundung startete ich im Dong Xuan Center – also jenem Ort, der unlängst wegen mangelnden Brandschutz und vermutlichen Menschenhandel mediale Aufmerksamkeit erregte. Tief im Inneren des Centers entdeckte ich den Paradiesmarkt, wo ich für läppische ein Euro fünfzig einen Magneten in Form einer Weintraube erstand. Nur einen Steinwurf entfernt fand ich das nächste paradiesische Refugium: Das Poolparadies. Billard – nicht Schwimmbecken, sei an dieser Stelle angemerkt. In diesem etwas in die Jahre gekommenen Café gönne ich mir einen nach Diabetes schmeckenden Cocktail, den ich in erster Linie aufgrund seines Namens wählte: Paradiso. (Maracuja- & Erdbeersirup, Sahne, Ananassaft). Nachdem ich mich tapfer durch die Kalorienbombe gekämpft hatte, schwang ich mich auf mein Fahrrad und düste zurück in die bereits vertraute Victoriastadt. Dort angekommen, ließ ich mir im Kosmetikparadies die Wimpern färben – eine durchaus schmerzhafte Angelegenheit. Doch wer schön sein will, muss dem Sprichwort nach über Leidensfähigkeit verfügen. In diesem Sinne galt: Augen zu und durch! Den Abschluss meiner Reise markierte die kleine, dafür umso feinere Kleingartenanlage Paradies. Weit weg von jeglichem Konsum schien ich hier zwischen Schlichtallee und Fischerstraße tatsächlich auf ein Stückchen Erde gestoßen zu sein, das den tradierten Vorstellungen eines Paradieses nahekommt.

Oktober, 2021