Mari Chilf

Mein erster Besuch in Lichtenberg galt dem Stadtmuseum unter dem Studio. Ein kurzer Dokumentarfilm, Teil einer ausgezeichneten Ausstellung über die Vergangenheit des Bezirks, hat die Richtung meiner (weg) forchungsgang bestimmt. Die Aufnahmen der versteckten Kamera zeigen eine junge Frau, die auf einem Sofa im Wohnzimmer einer Wohnung sitzt und dem ihr gegenübersitzenden Mann, von dem man nur die Beine sieht, angespannt etwas erklärt. Der aufgeregt Tonfall und die Körpersprache des Mädchens lösten in mir eine starke, emocionale Reaktion aus, die aktivierte etwas aus meiner Vergangenheit – löste Gefühle, Erinnerungsfetzen aus. Sie erinnerte mich an die Vergangenheit, die die ersten 23 Jahre meines Lebens bestimmt hatte, die ich unter der repressiven sozialistischen Diktatur von Ceausescu in Rumänien hatte verbringen müssen. Meine Recherchen richteten sich daher auf die Spuren dieses repressiven Regimes.
Die Orte meiner Recherchen: der ehemalige DDR-Geheimdienst, die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi) – heute ein Museum – und ihre Umgebung, das Archiv, das Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen und seine Umgebung, das Archiv des Museums Lichtenberg, Spaziergänge im Bezirk. Meine Aktivitäten: Sammeln von Material, Fotografieren, Lesen, Diskussionen, Reflexionen und stille Interventionen.
Der Monat, den ich in Lichtenberg verbracht habe, war für mich eine Zeit der Veränderung: eine Zeit der Erfahrungen, der Lehren und der Erkenntnisse. Ich war bewegt, als ich die Abhörgeräte, die Dampfmaschine zum öffnen von Briefen und das unglaublich organisierte System sah, das Millionen von Menschen durch Kontrolle und Einschüchterung terrorisierte. In Rumänien hieß es damals: „Die Wände haben Ohren“, wir deckten das Telefon mit einem Kissen ab, wenn wir über ernste Dinge sprachen, und wir wussten nie, wer von unseren Freunden und Bekannten über uns berichtete. Ein Konzept, von dem ich noch nie gehört hatte, war die „Aktenmeile“. Ich hatte noch nie daran gedacht, dass ich auch eine Akte haben könnte, aber jetzt wurde mir klar, dass ich eines habe.
Was können wir aus der Vergangenheit lernen? Wie können wir vermeiden, dass sich die Vergangenheit wiederholt (Der Fall des Frosches im Wasser, das gerade zu kochen beginnt…)

Der Anblick der Stätten, die vielen neuen Erkenntnisse und Erfahrungen, die ich bei meinen Besuchen und beim Lesen gewonnen habe, haben mich zu intensiver innerer Arbeit angeregt. Es hat einen Anstoß ausgelöst, den ich jetzt angehen muss.
Ein echtes Perle war für mich ein Fotoalbum aus der Zeit des Drusba-Festes im Archiv des Museums Lichtenberg. Das Drusba-Fest, das zwischen 1972 und 1989 jährlich im Stadtpark von Lichtenberg, etwa 1 km von der Stasi-Zentrale entfernt, zur Stärkung der deutsch-sowjetischen Freundschaft mit verschiedenen Kunstdarbietungen und Ständen veranstaltet wurde, war bei der DDR-Bevölkerung beliebt. Ich frage mich, wie die Menschen dieses staatlich verordnete Fest erlebt haben? In unserem Land gab es damals keine solche Veranstaltung, sondern nur das Festival „Singendes Rumänien“ mit obligatorischen Aufführungen in Schulen und Betrieben.

Meine Intervention

Die oben geschilderten Erfahrungen haben mich zu einer Intervention inspiriert. „Dankbar hier zu sein“ – diesen Satz habe ich vor dem ikonischen Eingang der Stasi-Zentrale mit Vogelfutter auf den Boden geschrieben, das dann von den Vögeln verspeist wurde.
Ich bin dankbar, dass das alles nur noch eine böse Erinnerung ist und dass es jetzt ein Museum ist. Ich bin dankbar, dass der repressive Staatsterror, der mir sehr wohl bekannt ist, vorbei ist und dass dieser grausame Ort, der in seinem ursprünglichen Zustand erhalten geblieben ist, nun als Stasi-Museum, als Forschungs- und Gedenkstätte über das politische System der ehemaligen DDR, besucht werden kann.
Das Bild mit Draufsicht habe ich von der Etage eines Büros von Erich Mielke, dem gefürchteten Minister für Staatssicherheit, der die Stasi 30 Jahre lang leitete, aufgenommen.
Insgesamt war der Aufenthalt in Berlin, der durch das Artist-in-Residence-Programm in Lichtenberg ermöglicht wurde, eine Zeit der Begegnung mit der Vergangenheit und der inneren Arbeit, die eine neue kreative Reflexion über die historische Vergangenheit/meine persönliche Vergangenheit anregte.
Ich danke für die Gelegenheit.

März, 2025