Nitya Misra

Nitya Misra

Was können verlorene Gegenstände über eine Stadt verraten? Was können sie uns über die Menschen erzählen, die sich in ihren Räumen bewegen? Den ersten Teil meines Aufenthalts in den Lichtenberg Studios verbrachte ich damit, herumzulaufen. Ich habe in der Nachbarschaft Plakate aufgehängt und auch Online-Foren durchforstet, um zu sehen, was die Leute verloren und gefunden haben. Ich besuchte Fundbüros und sprach auch mit Leuten, die ich traf, über Gegenstände, die sie verloren hatten.

Die von mir gesammelten Geschichten wurden in einer Ausstellung zusammengefasst – Lost & Found in Lichtenberg. Damit wollte ich die emotionalen und kulturellen Erzählungen erkunden, die in verlorenen und gefundenen Gegenständen stecken.
Bei einem Besuch der BLO Ateliers in der Nähe des S-Bahnhofs Nöldnerplatz fand ich Inspiration in einem ehemaligen Depot der Deutschen Bahn und Servicezentrum für Personenzüge. Auf dem Gelände befindet sich noch immer ein riesiger Krater, der von der Bombardierung während des Krieges herrührt, und was früher Lagerhallen, Fabriken und Hotels für DB-Mitarbeiter waren, ist heute ein sich ausbreitendes kreatives Wunderland, das von und für Künstler betrieben wird. Ich liebe das Bild eines verlassenen Bahnhofs…
…und so entstand im Studio der Lichtenberg Studios das Lostkreuz – ein fiktiver Bahnhof jenseits der Landkarte. Es handelt sich nicht nur um eine alte, verlassene Haltestelle, sondern um die Endstation für alles, was sich verirrt hat, eine Endstation für Gegenstände, die in der Zeit dahintreiben. Die stillen Gleise hallen von den Erinnerungen derjenigen wider, die diese Gegenstände einst in Händen hielten.
Die Ausstellung zeigte eine kuratierte Auswahl von dokumentierten, nicht abgeholten Gegenständen zusammen mit persönlichen Geschichten, die sowohl gesammelt als auch beigetragen wurden. Die Besucher waren eingeladen, sich an einem sich entwickelnden Archiv zu beteiligen, indem sie ihre eigenen mündlichen Erzählungen über verlorene Besitztümer mitteilten und so die Ausstellung mit neuen Stimmen und Erinnerungen bereicherten. Ich sah diese Gegenstände nicht als bloße Überbleibsel, sondern als Fragmente eines größeren, kollektiven Porträts – intime Einblicke in die Psyche eines Ortes.
Es war ein bittersüßes Gefühl, die letzte Teilnehmerin an dem Programm zu sein, und es machte meine Zeit im Studio zu etwas ganz Besonderem. Ich hatte das Gefühl, die Energie und die Erinnerungen der zahllosen Künstler zu spüren, die vor mir in diesem Atelier gelebt haben, sowohl durch die zufällige Sammlung von Objekten als auch durch den Raum.

Oktober, 2025