Peter Villwock

Nicht jetzt“: Bertolt Brechts gescheiterte (Be-)Gründung der DDR in Lichtenberg – das „Büsching“-Projekt

Die DDR wurde 1949 gegründet und war in den Anfangsjahren – wie jeder neue Staat – auf der Suche nach einer begründenden Großerzählung, mit der sich alle identifizieren konnten. Der „Nationalheld“ sollte das Arbeiter-Kollektiv sein. Weil eine anonyme Masse aber zur Mythenbildung nicht taugt, war ein einzelner prototypischer Arbeiter als Heros nötig. Er fand sich in dem Maurer Hans Garbe, der 1950 bei Siemens-Plania in Berlin-Lichtenberg eine zuvor für unmöglich gehaltene Leistung bei der Reparatur eines Ringofens vollbrachte und dafür als einer der ersten überhaupt als „Held der Arbeit“ ausgezeichnet wurde. Garbe diente vielfach als Modell des neuen sozialistischen Menschen:

1950 erschien die Erzählung „Vom schweren Anfang. Die Geschichte des Aktivisten Hans Garbe“ von Eduard Claudius – der Prototyp einer staatsbegründenden DDR-Mythologie

1951 entstand daraus Claudius’ Roman „Menschen an unsrer Seite“, der als Musterbeispiel des „sozialistischen Realismus“ in der DDR Schullektüre wurde

ebenfalls noch 1951 nahm Karl Grünberg ein Garbe-Porträt in den Sammelband „Helden der Arbeit“ auf

heute noch bekannt ist vor allem Heiner Müllers Stück „Der Lohndrücker“ von 1956. Als Müller es 1988 nochmals inszenierte, sah er es als sein „zur Zeit aktuellstes Stück“, als Beitrag zur „Archäologie des Sozialismus“ und als Aufruf zu „politischen Strukturveränderungen“; durch die historische Entwicklung wurde es dann ungewollt zum Abgesang auf die DDR.

Als erster aber war Bertolt Brecht auf das literarische Potential der Figur aufmerksam geworden. Ab Sommer 1950 setzte er etwa fünf Jahre lang immer wieder zu einem Hans Garbe-Stück mit den Titel „Büsching“ an, ein Gegenstück zum ebenfalls Fragment gebliebenen „Fatzer“, der laut Heiner Müller der „Glutkern“ seiner Produktion überhaupt war. Wie immer, wenn er mit einem Stück begann, notierte Brecht zunächst verschiedenste Konzepte und szenische Entwürfe. Außerdem beauftragte er aber auch – und das unterscheidet „Büsching“ von seinen anderen Stücken – seine Regieassistentin Käthe Rülicke, Gespräche mit Hans Garbe zu führen, um aus erster Hand informiert zu sein. Diese Dokumentation sollte gemeinsam mit dem Stück erscheinen und seine literarische Arbeit transparent und kritisierbar machen.

Während Rülicke ihre Dokumentation unter dem Titel „Hans Garbe erzählt“ schon 1952 veröffentlichte, kam Brecht über die Ideen- und Materialsammlung nicht hinaus: Die im Material selbst liegenden Schwierigkeiten, politische Veränderungen, chronische Arbeitsüberlastung und sein früher Tod 1956 verhinderten ein groß angelegtes Stück, das zu einem Gründungsmythos der DDR hätte werden können.

Februar, 2018