Diese Erfahrung des Flanierens beginnt mit den Spaziergängen, die ich im Bezirk Lichtenberg gemacht habe. Eine Stadtforschung durch die Straßen. Geografie, Anthropologie, Stadtplanung, Architektur sind nur ein Rauschen in meinen Ohren.
Auf der Suche nach potenziellem und individuellem Wissen öffne ich meine Sinne und meinen Geist für neue Begegnungen, während ich mich treiben lasse, Objekte sammle und mich an Orte und Spaziergänge erinnere, um persönliche Karten und eine fertige Skulptur zu schaffen.
Die Objekte, die ich an den Orten finde, dienen als Übersetzer für die Informationen, die ich in einem Anarcho-Archiv sammle. Sie sind alle nützlich, um meine Skulptur zu schaffen, eine neue Vision des Viertels. Für mich ist Bildhauerei eine Art Spiel mit Objekten und der Realität. Alles, was ich auf der Straße finde, inspiriert mich. Ziegelsteine, Pflanzen, zurückgelassene Waren, Haushaltsgegenstände, Müll aus China, Erinnerungen an die Industrie … Es ist eine persönliche Sammlung.
Ich habe mir Lichtenberg einfach aus dem Stadtplan Berlins ausgeschnitten. Der Bezirk sieht in 2D aus wie der Umriss eines Papageienvogels. Der Schnabel ist Falkenberg. Und unten rechts liegt Friedrichsfelde, wo der Tierpark verortet ist.
Lichtenberg hat mich überrascht, als ich mein Vorhaben umgesetzt habe, es laufend und wandernd im langsamen Tempo zu erkunden. Ich habe anfangs versucht, die Bezirksaußengrenze mit ca. 54 km Umfang schlicht abzugehen. Das hat aber leider nicht so ganz funktioniert, so hätte ich z.B. mitten durch den Rummelsberger See schwimmen müssen. Die Kartografie hat auf meinen Plan keine Rücksicht genommen. Aber ich habe insgesamt 79,81 km in Lichtenberg zu Fuß durchschritten und war tatsächlich in allen Lichtenberger Bezirksregionen. So zum Beispiel gezielt im Tierheim Berlin, dem größten seiner Art in Europa. Von oben sieht es aus wie einen Waschmaschinentrommel mit einzelnen runden Seifenblasen, so groß wie 22 Fußballfelder. Hier habe ich ein paar der 1300 Tiere kennengelernt und eine Handvoll der vielen Tierpfleger*innen und Ehrenamtlichen, die hier arbeiten. Beeindruckt hat mich, dass sogar Affen hier leben und australische Streifenköpfige Bartagame. Ein sehr belebtes Gebiet von 16 ha Fläche. Im Vergleich dazu fand ich meine anderen vielen Spaziergänge und -läufe eher einsam. Selbst in Alt- und Neuhohenschönhausen bin ich nur wenigen Menschen begegnet. Ich fragte mich oft, wo sind all die Bewohner*innen der hohen Wohnblöcke, allein Neu-Hohenschönhausen lebten 2023 knapp 56.000 Menschen? Manchmal stand ich in Lichtenberg an einem Klingelbrett und konnte Maisfelder sehen, Asphalt und Wiese gleichzeitig berühren. Ich fand es verrückt und ich fand es vielfältig. Urban und ländlich zugleich. Wo sonst in Berlin leben 130 Schafe? Wie es im Landschaftspark Herzberge der Fall ist? Ich bin auch Karl Liebknecht begegnet. Nicht wahrhaftig, aber seinem Gedenkstein. Und es gibt erstaunlich viele Gewässer: u.a. Oranke- und Obersee, Malchower See, Fennpfluhl und das Papenpfuhlbecken. Dann hat mich neugierig gemacht, was auf der Margaretenhöhe im hohen Norden Lichtenbergs zu finden ist: Das Höchste hier nicht ein Berggipfel, sondern die Windräder und Strommasten, die am Rand einer Gartenkolonie stehen. Es gibt Orte in Lichtenberg, wie die Waldsiedlung Wuhlheide, die anmuten wie ein Museumsdorf. Und es gibt die Trabrennbahn in Karlshorst, deren Patina von ihrem hohen Alter erzählt, aber immer noch gibt es dort die Traber und die Pferdeäpfel und regelmäßig einen Antiquitätenmarkt mit kostspieligen Raritäten.
Mein Flanieren in Lichtenberg habe ich stets mit meiner Lauf-App dokumentiert und daraus ist ein witziges Zickzackmuster und eine wahrlich interessante, erstaunliche Fotosammlung entstanden. Noch fehlen mir 190 Meter, damit ich die 80 ZuFuß-Kilometer in Lichtenberg rund mache. Oder aber 20,19 km, damit ich es auf 100 Lichtenbergkilometer bringe. Da muss ich genau überlegen, wo im Zickzackmuster viele Lücken geblieben sind. Aber sicher werde ich diese noch abschreiten und fotografieren. Die Betrachter*innen meiner Bilder werden sich häufig fragen, wo ich wohl gewesen bin.