Marit Wolters

Ich bin ein durchschnittlicher Mensch, ich denke in Schubladen, um mir das Leben einfacher zu machen. Es ist gar nicht so leicht Berlin Lichtenberg in eine der altbekannten Schieber zu stecken./
Mich fasziniert der Stadtteil, auch noch nach wochenlangen Erkundungstouren. Und das trotz Geschichtsverdrossenheit – kein Wunder wenn man als Kind die alten Nazigeschichten jedes Schuljahr aufs Neue durchkauen musste – Fakt um Fakt, Jahreszahl um Jahreszahl./
Und auch die DDR-Geschichte, die hier überall präsent und spürbar ist: die eigene Familie getrennt von der Mauer, nach der Vereinigung Stille, Streit erst als die Ersten sterben, es geht ums Erbe. Die DDR heute: Futter für Filmemacher; oder auch schon nicht mehr. Genauso Berlin./
Wer durch Lichtenberg geht, geht durch die Geschichte der gesamten Stadt, der Menschen hier. Die ersten Plattenbauten, Hoffnung auf industriellen Wohlstand und soziales Bauen. Scheitern.
Fliegerhallen, heute Strewergärten. Freiheit in der Parzelle./
Vorstadtidyll und Großstadtromantik. Neue Wohnungen in alten Gefängnissen ist in./
Genauso shoppen im asian-style und Kunst produzieren, wo früher die Führungselite der SED ihre Limousinen polieren ließ. Alles mischt sich und kriegt nicht genug vom Anderssein. Dazu passt nicht das Hochhausgebirge im Norden Lichtenbergs. Hier ist Berlin kurz einmal stecken geblieben in der Zeit, hängen geblieben an einem Moment wie an einem hervorstehenden Nagel beim Sturz aus dem Fenster im zehnten Stock- als könnte der Traum der Gleichheit aller Arbeiter doch ins Glück geführt haben.

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Januar, 2017