Matthias Beckmann

In Kreuzberg waren die Straßen Mitte Mai wieder voll. Als ob nichts gewesen oder alles schon vorüber wäre. Die Entscheidung für Lichtenberg war goldrichtig. Ich wollte Berlin in Zeiten von Corona zeichnen und dabei den Abstand wahren. Wäre ich einen Monat früher gekommen, hätte ich beinah menschenleere Plätze vorgefunden. Auch jetzt war es noch entspannt hier. Die Menschen ließen mich in Ruhe und ich konnte ungestört arbeiten.

Im Grunde ist das Motiv einer Zeichnung unerheblich. Es ist der Anlass für Linien auf Papier. Doch für die Betrachter, für die ich auch zeichne, ist es schön, wenn sie ihren Blick auf ihnen vertraute Dinge mit der Sicht des Zeichners vergleichen können. Für mich ist ein Thema und ein neuer Ort ein Anreiz zum Zeichnen, vor allem wenn es eine Aufgabe oder einen Auftrag gibt. Nie käme ich auf die Idee, mich in gewohnter Umgebung zum Zeichnen einfach an eine Straßenecke zu setzen.

Eine Liste mit einigen Orten hatte ich gemacht. Das Ring Center an der S-Bahn-Station Frankfurter Allee, der Tierpark, das Stasi-Museum, die Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde, das Mies van der Rohe-Haus, das studio im HOCHHAUS… Auf meinen Radtouren stieß ich auf weitere Orte.

Einige passende Corona-Motive fand ich wie zufällig auf dem Wege. Mund-Nasen-Schutz als Plakatwerbung auf den Litfaßsäulen, als Mode-Accessoire der Schaufensterpuppen in einem Geschäft für Brautmoden oder als Verkaufsware eines Asia-Händlers auf dem Anton-Saefkow-Platz. Ein Metzger notierte auf einer Stelltafel die neuen Sicherheitsbestimmungen und auf der anderen die Produkte seiner Fleischtheke. Das musste ich auch zeichnen.

Zeichnen ist einfach. Ich brauche nicht viel. Einige Zeichenblöcke im A-4-Format, zwei Druckbleistifte (der zweite Stift für den Fall, dass der erste den Geist aufgibt), einen faltbaren Zeichenhocker, eine Kappe, die die Augen vor dem Sonnenlicht schützt. Zeichnen ist Arbeit, Ablenkung und Entspannung zugleich. Besser geht es nicht.

November, 2020