Chantal Labinski

Lichtenberg, April 2021

Das Wetter am 1. April ist so verführerisch warm, dass die Berliner gleich die Wintersachen ablegen und nur noch in Shorts weiterlaufen. Fantastisch.

Mich bremst seit Tagen eine Art Augenkoller aus, wovon die Sonne mir übergrelle Phantom-Farben gibt, und so blinzle ich vorerst nur von oben runter aus den Fenstern der Studios. Aus dem 4. Stock hat man jedenfalls genügend Corona-Abstand. Weil mein Sonnenschock dem vagen Plan, hier Menschen und Situationen zu zeichnen erstmal im Weg steht, fotografiere ich planlos die Vorüberziehenden mit ihren Schattenfiguren. Später färbe ich die Bilder in meinen aktuellen Anfallsfarben ein. HM… Lichtenberger Migräne Postkarten? Mal sehn, was ich da später draus mache. How to Give Something Back to Sunny Lichtenberg.

Zu Ostern finde ich im windigen Lichtenberg auffällig viel rot und weiss. Alle paar Meter verschiedenste Poller, rot-weisse Verkehrs-Orgien, imposante Balkon-Leuchttürme. Viel rot an den Häusern. Leuchtend hüpfende Fussball-Kinder und eine zum Bahnhof eilende Frau in einem grandios schicken, rot-weiss-gemusterten Regenmantel. Ein Zitat vom Warhol-Suppendosen-Zitat? Wow. 32 mal Curry Pommes Rot-weiss. Bestimmt eine echte Lichtenbergerin. Ich versuche sie mir per Phantom-Skizze für später zu merken. Zum Glück gibt es Fototelefone für die Feinheiten.

In den Studios sind Klebefolien, die Gesine vor mir hier gelassen hat. Toll! Die Folien rufen mit klaren Farben einen schönen Gesang. Nur dass ich davon noch nichts verstehe. Draussen wirft der April mit Schnee und zerrt an den Fenstern. Erstmal nachdenken. Perfektes Wetter für meditative Überprüfungen der eigenen Absichten und Strategien. Ich fahre mit meinem neuen Mini-Klapp-Rad ein paar Runden durchs Studio. Das geht zu hause schonmal nicht. Beim Zeichnen brüte ich über meine und allgemeinere Kunst-Allergien und die Liebe zum visuellen Unfall, den Wahnwitz an jedem Interventionismus und die Lust am Fallenstellen. Gute Tarnung macht schon halbe Beute. Lautes Gewitter. Niemand draussen ausser tapfere Pizzaboten.

Rote Folie gibt es in drei Tönen, weisse ist weniger da. Jede Menge Blau, Grün, Violett, hm, nein. Dann schon eher dieses sonnige Off-White. Ich zeichne einige Umwege, höre im Radio über die Ausgangssperre und einen, der von seiner eigenen Party vor der Polizei vom Balkon flüchtete. Krankenhaus. Überall lauern neue Gefahren. Aber es ist April, und alles ändert sich ständig.

Irgendwann ahne ich, was ich will. Eine kleine Rot-Weiss-Verschiebung könnte es werden.

Mai, 2021